Mit der Oceanis Yacht 62 beginnt Bénéteau eine neue Modellserie. Baunummer 2 stand für uns vor Barcelona zum Testschlag bereit.
Fast schon spielerisch dreht die zweiköpfige Werks-Crew das Testschiff im Hafenbecken. Bug- und Heckstrahler kündigen einen entspannten Anleger an. Während bereits die Gangway ausfährt und den Handlauf aufstellt, drückt ein kaum hörbarer 6-Zylinder 160 PS Yanmar-Diesel die Yacht über die letzten Meter zur Pier. Die Achterleinen gehen über, vorn wird die Mooring belegt – fertig. Gerade einmal drei Minuten sind vergangen, um die 25t verdrängende Yacht einzuparken. Dieses Manöver dürfte auch bei mehr als den herrschenden vier Winden auf die Seite ähnlich ablaufen.
„Komm an Bord! Lass uns zusammen segeln!“
Selbst in leichtem Regen an der Pier scheint diese Yacht mit dem außenstehenden Betrachter zu flirten: „Komm an Bord! Lass uns zusammen segeln!“. Diese Aufforderung nehmen wir natürlich an und gehen an Bord.
Ein erster Blick über Cockpit und Deck lässt ebenso Vertrauen wie Vorfreude aufkommen – so, als sei einfach alles an seinem Platz, vernünftig dimensioniert und funktional durchdacht. Für Winschen und Genua-Rollreff wurde auf dem Testschiff elektrische Unterstützung, für Niederholer und Achterstag hydraulische verbaut. Zusammen mit der sehr guten Erreichbarkeit der Genua- und Arbeitswischen für den Rudergänger, ist das Setzen der Segel ohne weitere Hilfe binnen Minuten erledigt.
Beachclub mit Segeln
Bei Winden um 16kn und gut 1m Welle setzt die Oceanis Yacht 62 sanft durch die Dünung und nimmt beständig Fahrt auf. Hoch am Wind werden 8kn geloggt, durchschnittliche Wendewinkel betragen dabei etwa 95°. Wenn auch mit wenig Rückmeldung der Doppelruder, macht das Steuern viel Vergnügen. Kleinste Böen werden mit sprichwörtlichen zwei Fingern am Rad optimal genutzt, größere Kursänderungen ohne gefühlte Verzögerung umgesetzt. Auch bei 12kn Fahrt unter Code Zero, und bewusst erzwungener Lage, bleibt das Fahrverhalten solide und das Schiff jederzeit sicher in der Hand.
Zu verlockend erschien ein Ankerstopp, um die zahlreichen Liegeflächen im Cockpit, beidseitig des Niedergangs und an Deck auszuprobieren. Ebenso reizte die achtern mittig optional erhältliche Freiluftküche nebst Grillstation. Zusammen mit der großen Badeplattform ein perfekter Beachclub mit Segeln. Leider am Testtag unter grauen Regenwolken.
Blick unter Deck
Während der Rückfahrt zum Hafen ein Blick unter Deck. Bewusst unter Segeln und mit etwas Welle, um vielleicht instinktiv nach Haltemöglichkeiten zu greifen. Vom Niedergang, durch den Salon bis zur Bugkammer durchaus problemlos, da zahlreich und gut positioniert vorhanden.
Der große Salon und alle Kammern sind mit wertigen Materialien und Hölzern ausgestattet. Hier gefallen Optik und Haptik. Abgesehen vielleicht von Kunststoff-Türzargen, die, obwohl farblich gefällig kontrastierend, nicht so richtig zum Gesamteindruck passen wollen. Werden wie in der Automobilindustrie Spaltmaße als Indikator der Bauausführung angesehen, so hat die Werft makellos gearbeitet.
Die längs eingebaute Pantry gefällt mit großen Arbeitsflächen, unter denen bei Nichtgebrauch Herd und Spüle bündig entschwinden. Staumöglichkeiten findet der Smut großzügig vorhanden vor, und mit optionalen Ausstattungsvarianten wie Weinkühlschrank, Tiefkühlfach, Spülmaschine und Mikrowellenherd steht die Pantry der heimischen Loft-Küche um nichts nach.
Eher als kleines Büro denn als „Navigationstisch“ treten Schreibtisch und Drehstuhl backbordseitig auf. Einzig die Schalttafel für alle Bordsysteme erinnert noch an die ursprünglich übliche Nutzung.
Große Rumpffenster, seitliche Deckshausverglasungen, Bullaugen und Panoramafenster bringen viel Licht und Luft unter Deck. Zudem stehend oder am Salontisch sitzend reichlich Blick auf die Umgebung. Gegen Abend übernehmen LED-Warmlichtleuchten – auf Wunsch ergänzt um Ambiente-Lichtbänder in Bodennähe.
Eignerkabine im Vorschiff sowie die Seitenkabinen verfügen selbstverständlich über ein Bad en Suite mit abgetrennter Dusche. Leider nur mit winzigen Luken zu belüften. Die Eignerkabine punktet mit großzügigen Staumöglichkeiten (Schublagen, Kleider- und Schuhschrank) und einem für zwei Personen ausreichend dimensionierten Doppelbett (2,05 x 1,72m). Auf die Seitenkabinen trifft die werftseitige Aussage von „sehr intim gehaltenen Privaträumen“ voll umfänglich zu. Ob der zwischen den Kammern liegenden Tendergarage, und einem vorbildlich zugängigen Motor- und Technikraum, verbleiben dort zwar lange (StB 2,04m / BB 2,42) jedoch mit 1,40m Breite recht schmale Betten. Knapp bemessene Stauflächen ergänzt ein Schrank für Ölzeug steuerbordseitig des Niedergangs.
Wieder im Hafen wird der unter dem Cockpit geparkte Williams 285 Tender zu Wasser gelassen. Sehr angenehm dabei die zur Slipbahn absenkbare Badeplattform mit elektrischer Winde. Mit wenigen Handgriffen ist der Tender im Wasser bzw. wieder geparkt.
Unser Eindruck
Der erste Spross der neuen Modellserie hat eine beeindruckende Visitenkarte abgegeben. Die Yacht gefällt bis auf genannte kleine Wermutstropfen – unter Segeln wie unter Deck. Somit darf der Grundpreis von 650.000 EUR (exkl. Steuer) als angemessen angesehen werden. Optimierte Segel, ein ohne Rollgroß anzuratender Park-Avenue-Baum, edle Hölzer und Leder, sowie landseitig gewohnte Annehmlichkeiten eines City-Lofts nebst dann notwendigem Kraftwerk benötigen weitere 350.000 EUR. Vergliche man die Yacht mit einem Orchester, so hat die Werft eine fein harmonierende Solistenvereinigung kreiert.
Bootsdaten im Überblick:
Werft: Beneteau (Frankreich)
Name: Oceanis Yacht 62
Jahr: 2016
Länge: 19,07 m
Breite: 5,33 m
Tiefgang Langkiel: 2,9 m
Gewicht: 24 t
Motorleistung: 160 PS
Treibstofftank: 1.000 l
Wassertank: 1.060 l
Großsegel: 94 m²
Genua: 87 m²
Kabinen / Nasszellen: 3 od. 4 + 1 Crew / 2 od 3 + 1 Crew
CE Kategorie: A 12/B 13/C 14
Preis: ab 650.000 EUR (exkl. Steuer)
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Fotos: Boot Online, Guide Cantini & Nicolas Claris