Bereits seit Herbst 2017 beschäftigt ein andauernder Rechtsstreit zwischen der Greifswalder Hanse Yacht AG und Cantiere del Pardo S.p.A. (I-Forli) die italienische Justiz. Grundsätzlich zu der Frage nach „außerordentlicher Ähnlichkeit“ der Yachtmodelle Fjord 42 (Hanse Yacht AG) und Pardo 43 (Cantiere del Pardo), damit einhergehender Verletzungen von Geschmacksmustern und „unlauterem Wettbewerb“. So jedenfalls liest sich der Antrag auf einstweilige Verfügung gegen den weiteren Bau und Vertrieb der von Cantiere del Pardo im Sommer 2017 vorgestellten Pardo 43. Dieser wurde am 4. September 2017 von Anwälten der Hanse Yacht AG an die Wirtschaftskammer des Gerichtshofes im italienischen Genua gestellt.
Wurde die Fjord 42 von Cantiere del Pardo kopiert?
Dieser Frage ging Boot Online nach, sah Gerichtsbeschlüsse und Schriftsätze ein, und fragte in Greifswald und Forli nach. Vertreter beider Werften unterstützten die Boot Online-Recherchen dazu ebenso bereitwillig wie umfänglich (siehe Update am Ende des Beitrages). Wenn auch verständlicherweise mit durchweg gegensätzlichen Ansichten.
Was also war geschehen?
Aus Sicht der Hanse Yacht AG wurde ihr Modell Fjord 42, das im September 2016 auf der Monaco Boat Show vorgestellt wurde, durch die erste Motoryacht der bis dahin auf Segelyachten der Marke Grand Soleil konzentrierten Cantiere del Pardo kopiert, und im darauffolgenden Sommer auf den Markt gebracht. „Die außerordentliche Ähnlichkeit fiel uns sofort auf. Zudem berichteten unsere Händler von intensiven Vermessungen der Fjord 42 durch Mitarbeiter von Cantiere del Pardo während weiterer Messen und Ausstellungen“, so Florian Nierich, PR- und Marketing-Leiter der Hanse Yacht AG. „Selbst unsere Verkaufsunterlagen wurden zu großen Teilen übernommen, einschließlich darin vorhandener Schreibfehler“.
Dem widerspricht Cantiere del Pardo-Marketing Managerin Veronica Bottasini Boot Online gegenüber entschieden: „Das Gericht in Genua hat festgestellt, dass die Pardo 43, entworfen von Zuccheri Yacht Design, keine Kopie der Fjord 42 ist. Das von Hanse Yachts eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster betreffend Fjord 42 ist nicht gültig, und alle Vorwürfe sind daher unbegründet“.
Nach einer mündlichen Verhandlung am 3. November 2017 kommt der Gerichtshof während des vorläufigen Verfahrens tatsächlich zu der Ansicht „dass die Fjord 42 nicht die erforderliche Neuheit und den individuellen Charakter aufweist, um auf Grund geltender europäischer Vorschriften wirksam gegen Verstöße geistiges Eigentum betreffend geschützt zu werden. Für jeden unparteiischen Beobachter ist eine aktualisierte Version der Fjord 40 erkennbar – die zweifellos, als sie vor mehr als einem Jahrzehnt präsentiert wurde, einen individuellen Charakter hatte, der ohne zu zögern zu dieser Zeit als innovativ definiert werden konnte“ [Abs. 2 / Schlussfolgerungen des Gerichts im vorläufigen Verfahren zu konkurrierenden Produkten und relevanten Märkten in Sachen Hanse Yacht AG ./. Cantiere del Pardo, Wirtschaftskammer des Gerichtshofes zu Genua, Aktenzeichen 10302/2017].
Punto e basta?
Keineswegs, denn Boot Online vorliegende Schriftsätze des Genueser Gerichtshofes lassen durchaus tiefere Einblicke zu. Auch wenn dieser unter Präsident Mario Tuttobene und den Richterinnen Francesca Lippi und Patrizia Cazzato keineswegs „Anspruch auf technische Fähigkeiten des Marinedesigns“ erhebt, stellen sich während weiterer Anhörungen am 20. November und 21. Dezember 2017 erneut Fragen zur erstaunlichen Ähnlichkeit beider Yacht-Modelle – und wie es dazu kommen konnte.
Zu dieser Zeit zählte die Pardo 43 bereits zu den von Chefredakteuren und Testern europäischer Motorboot-Medien aus Norwegen, Italien, Frankreich, den Niederlanden, Spanien, der Schweiz, Österreich und Deutschland nominierten Yachten der „European Powerboat of the Year Awards“ in der Klasse bis 45 Fuss.
Spontane Hilfe, um Entwicklungszeiten neuer Yachten zu verkürzen
Den Gerichtsakten ist zu entnehmen, dass ein Fjord-Händler in Kontakt mit Cantiere del Pardo stand, um die künftige Entwicklung neuer Motorboot-Modelle zu begleiten. Was Cantiere del Pardo gegenüber Boot Online durchaus bestätigt: „der erwähnte Händler hat uns (…) kontaktiert, weil er Vertriebspartner der neuen Marke ‚Pardo Yachts‘ werden wollte, (…) um künftig die Pardo 43 zu verkaufen, da er mit der Marktentwicklung der Fjord-Yachten nicht zufrieden war“ teilte Veronica Bottasini mit. „Wir sind nicht auf den Händler zugegangen!“.
Von besagtem Händler erhielt Cantiere del Pardo am 8. Mai 2017 per eMail Optimierungsvorschläge zu künftigen Entwicklungen, und am 1. August 2017 die komplette Händler-Dokumentation zur Fjord 42. Daher „richtete der ehrenwerte Gerichtshof seine Aufmerksamkeit zunehmend auf die Frage, ob unlauterer Wettbewerb begangen wurde“ [Abs. 1 / Schriftsätze zur Einführung im vorläufigen Verfahren und Beweise, die währenddessen erworben wurden].
„Mit Blick auf die Aussage des Händlers in der Anhörung am 3. November wird klar, dass das Design (…) nicht autonom konzipiert wurde. Dieser bestätigte – in zwei von Hanse Yachts eingereichten eidesstattlichen Erklärungen und während der Zeugenaussage – dass er, obwohl an eine Vertraulichkeitsvereinbarung mit Hanse Yachts gebunden, mit dem italienischen Mitbewerber an der Entwicklung von Cantiere del Pardo‘s erstem „Yacht Tender“ (nämlich der PARDO 43) mitarbeitete und von Frühjahr 2016 bis Winter 2017 kommerzielle und technische Informationen in seinem Besitz weiterleitete. Es liegt daher nahe zu glauben, dass das Ziel der italienischen Werft darin bestand, mit einem Unternehmen zu konkurrieren, das im Laufe der Jahre eine solide Verkaufsnische auf dem internationalen Markt aufgebaut hatte, was durch die in der letzten Anhörung erwähnten Verkaufsdaten bestätigt wurde – 244 Boote der FJORD-Klasse wurden im letzten Jahrzehnt verkauft. Die Beklagte hat den Beitrag (des Fjord-Händlers) in der vorliegenden Sache aus verschiedenen Blickwinkeln in Frage gestellt, dafür aber keine solide Grundlage.“ [Abs. 4: Pardo 43 ist eine „Ableitung“ der FJORD-Produktlinie]
Verkaufsstopp nur in Italien
Mit einer einstweiligen Verfügung vom 16. Januar 2018 untersagte das Gericht Cantiere del Pardo die Herstellung, Ausstellung, Bewerbung sowie den Verkauf der Pardo 43 in Italien, und ordnete Strafen von 30.000 EUR für jede Verletzung an – für den Fall eines Yachtverkaufs jeweils 150.000 EUR. Begründet wurde dies mit sklavischer Nachahmung, Aneignung von Verdiensten und Erwerb vertraulicher Informationen.
„Zweifellos ist das Erzeugnis der Beklagten (Pardo 43) eine sklavische Nachahmung des älteren deutschen Geschmacksmusters (Fjord 42), abgesehen von zwei wirklich unterscheidungskräftigen Merkmalen, die zweifellos ‚stichhaltig‘ sind. (…) Das Design von Cantiere del Pardo hat sich die Vorteile der Fjord-Produktlinie angeeignet, indem es den kommerziellen Erfolg des Unternehmens ausnutzt. (…) Dies wurde jedoch durch den Erwerb vertraulicher Informationen erreicht, die, obwohl sie nicht unmittelbar durch Art. 98 des italienischen Gesetzbuchs über geistiges Eigentum geschützt werden, nicht zum Stand der Technik gehörten, und vor allem nicht Teil des Know-hows von Cantiere del Pardo waren. [Abs. 5: Unlauterer Wettbewerb und die Voraussetzungen für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes]
„Kurz nach unserer Pressemitteilung zur erstrittenen einstweiligen Verfügung gegen Cantiere del Pardo wurde selbst die Nominierung der Pardo 43 zu den ‚European Powerboat of the Year Awards‘ auf der offiziellen Webseite entfernt.“, so Florian Nierich.
Berufung von Cantiere del Pardo abgelehnt – Hauptverfahren steht an
Unter dem Aktenzeichen 1239/2018 wurde am 7. März 2018 ein Beschwerdeverfahren von Cantiere del Pardo gegen die einstweilige Verfügung abgelehnt – von eben der richterlich gleichbesetzten Kammer des Genueser Gerichts, die sie aussprach.
Auf die Frage, ob Cantiere del Pardo nun Bau und Vertrieb der Pardo 43 weiterhin verfolgt, antwortete Veronica Bottasini: „Wir verletzen keine gerichtliche Anordnung, da sich die Verfügung vom 7. März 2018 ausschließlich auf Transaktionen beschränkt, die von Cantiere del Pardo in Italien abgeschlossen wurden, also Transaktionen im Zusammenhang mit Pardo 43, die sich an den italienischen Markt richten. Daher ist das Marketing (und der Kauf) von Pardo 43 sowie die Werbung in anderen Ländern als Italien erlaubt. Der Bau der Boote hört überhaupt nicht auf und die Anordnung der einstweiligen Anordnung ist nur vorübergehend, weil wir das Verfahren gegen Fjord fortsetzen werden. Die Bereitschaft von Cantiere del Pardo ist natürlich, die am besten geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um legitime Rechte in einer Plenaraktion zu verteidigen. Um ehrlich zu sein: das Problem ist, dass wir seit unserer Weltpremiere im September 2017 in Cannes 32 Boote in weniger als 8 Monaten verkauft haben und nicht alle Mitbewerber das akzeptieren können.“
Hauptverfahren in Italien
Hanse Yacht CEO Dr. Jens Gerhardt sieht vorerst „einen wichtigen Etappensieg“ und strebt nun ein Hauptverfahren in Italien an. „Bisher wurden meist Details nachgebaut, wie die Dehler Uni-Door oder die markanten Fensterlinien der Sealine und Hanse Familie, was wir bislang sportlich gesehen haben, gewissermaßen als Lob für unsere innovative und herausragende Design-Qualität. Im Lichte dieser neuen Umstände werden wir dieses Vorgehen überdenken müssen. Die Kopie eines ganzen Bootes allerdings können wir sicher nicht hinnehmen.“
Dem Vernehmen nach werden Hanse Yachts und Cantiere del Pardo weiterhin Gerichte zu einer Klärung anrufen.
Update: Am 13.09.2018 teilte Florian Nierich von der HanseYachts AG in einer Pressemitteilung mit, dass man sich mit Cantiere del Pardo geeinigt hat und der Rechtsstreit somit beendet wurde. Gab sich Nierich am Anfang unserer Recherchen bzw. während des Rechtsstreits noch Auskunftsfreudig, wollte man sich auf weiteres Nachfragen zum konkreten Vergleich nicht näher äußern. Damit bleibt offen, aus welchen Gründen die HanseYachts AG einen Vergleich mit Cantiere del Pardo schloss, zumal deren CEO Jens Gerhardt zu Beginn der Recherche noch davon sprach, dass man „die Kopie eines ganzes Bootes“ sicher nicht hinnehmen werde.